Steigende Schülerzahlen

Verlockender Staatsdienst: Lehrer-Verbeamtung setzt freien Schulen in Sachsen zu

Die Kehrseite der Verbeamtung: An den freien Schulen bewerben sich immer weniger junge Lehrkräfte.

Die Kehrseite der Verbeamtung: An den freien Schulen bewerben sich immer weniger junge Lehrkräfte.

Dresden. Als der Freistaat Sachsen im Jahr 2019 die Lehrer-Verbeamtung einführte, hatte Andrea Schmidt monatelang Muffensausen. Die Leiterin der freien Carl-Friedrich-Goerdeler-Oberschule in Leipzig bangte in jener Zeit: Würden ihre sieben jüngeren Lehrkräfte – was immerhin gut einem Viertel des Personals entsprach – der Verlockung des Staatsdienstes widerstehen?

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„Am Ende konnten wir mit unseren kleineren Klassen, mit familiärer Atmosphäre, mit Herzblut und Leidenschaft punkten“, sagt Schmidt heute. Alle sieben Pädagogen sind der Schule in der Leipziger Südvorstadt treu geblieben. Doch die Schulleiterin weiß, dass ihr Haus damit eine von wenigen Ausnahmen ist.

Freie Schulen können mit Verbeamtung finanziell nicht mithalten

Denn für freie Schulen ist es zusehends schwieriger geworden, ausgebildete Lehrkräfte zu finden. „Mit der Verbeamtung hat es bei uns einen Aderlass gegeben“, sagt Siegfried Kost, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen (AGFS), „und jetzt haben wir das Problem, dass sich viele junge Lehrer verbeamten lassen wollen und sich gar nicht mehr bei uns bewerben.“ Damit seien große Teile des Nachwuchses für die freien Schulen verloren, so Kost.

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Manja Bürger, die Chefin des Verbandes deutscher Privatschulen in Sachsen und Thüringen, bestätigt: „Die Verbeamtung setzt die freien Schulen unter Druck. Dagegen können wir kaum etwas machen.“ Die Situation sei „grundsätzlich problematisch“, sagt Bürger. Denn viele Absolventen und junge Lehrkräfte würden überlegen, ob sie sich für die Verbeamtung und damit für die Sicherheitsvariante oder für mehr Freiräume entscheiden.

Kultusminister lobt hohe Lehrer-Einstellungsquoten

Die aktuellen Zahlen belegen, dass dem finanziell lukrativen Staatsdienst immer häufiger der Vorzug gegeben wird. Erst in der vergangenen Woche hatte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) vor dem Schuljahresstart die außerordentlich hohen Einstellungsquoten gelobt: Von den Bewerberinnen und Bewerbern mit abgeschlossener Lehramtsausbildung habe man 825 verpflichtet, was einer Quote von 92 Prozent entspreche.

„Das zeigt, dass der Schuldienst in Sachsen attraktiv ist“, freute sich Piwarz, selbst wenn nicht alle offenen Stellen besetzt werden konnten – doch vor der Verbeamtung sei die Quote noch deutlich niedriger ausgefallen. Darüber hinaus vermeldet das Kultusministerium auch bei Referendarinnen und Referendaren weitere Erfolge: Inzwischen bleibt 73 Prozent des in Sachsen ausgebildeten Nachwuchses nach dem Studium im Freistaat und nimmt hier eine Lehrerstelle an. Vor drei Jahren waren es lediglich 64 Prozent.

Leipziger Schulleiterin: Wir müssen mehr Eigeninitiative zeigen

Das verschärft die Probleme der freien Schulen, neues Personal auf dem seit Langem angespannten Arbeitsmarkt zu binden. Freie Schulen müssen ihren Lehrkräften mindestens 80 Prozent des Bruttogehaltes im öffentlichen Dienst zahlen, was Einkommensunterschiede von bis zu 1000 Euro ausmachen kann. Laut Kultusministerium darf es aber keine gezielten Abwerbungen geben. „Wir veröffentlichen alle Stellenausschreibungen, natürlich auch die von freien Schulen“, wird in Dresden klargestellt. Es erfolge auch keine gezielte Werbung ausschließlich für öffentliche Einrichtungen – „sondern wir werben für den Lehrerberuf in Sachsen“.

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Doch die freien Schulen müssen sich immer mehr „drehen“, wie es die Leipziger Schulleiterin nennt, um den wachsenden Personalbedarf decken zu können. „Bei uns gehört es einfach dazu, selbst Initiative zu zeigen. Ich komme damit sehr gut zurecht“, sagt Andrea Schmidt, „und diejenigen, die zu uns kommen, sind engagiert und hoch motiviert. Dass es Aufs und Abs gibt, ist normal.“ Aktuell sucht ihre Goerdeler-Oberschule, wo 220 Schülerinnen und Schüler lediglich in zehn Klassen lernen, noch eine Lehrkraft für Englisch, Gemeinschaftskunde, Wirtschaft/Technik und Informatik.

Freie Schulen setzen häufig erfolgreich auf Seiteneinsteiger

Die Lösung liegt nicht selten in Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern, erklärt AGFS-Sprecher Kost, die an freien Schulen mit offenen Armen empfangen würden. Während an den staatlichen Schulen etwa jeder fünfte Neuling nach relativ kurzer Zeit seinen Dienst wieder quittiert, werde bei den freien Trägern nach einem Seiteneinstieg nur selten hingeworfen, sagt Kost.

So unterrichten an der Leipziger Goerdeler-Schule seit Jahren beispielsweise eine Mathematikerin, eine Ethnologin, eine Chemikerin und eine freischaffende Künstlerin. Andere Lehrkräfte haben ihre Fächerkombinationen erweitert: Der Musiklehrer hat sich zwei Jahre lang für Mathematik weitergebildet, die Sportlehrerin ist nun auch eine Spezialistin für Chemie und Physik. „Das zeigt, wie unsere Leute ticken“, meint Schulleiterin Schmidt.

Neuer Anmelderekord bei freien Schulen in diesem Jahr

Anders als staatliche Schulen sind freie Träger selbst für Personal und Schulkonzepte verantwortlich. Für ihre Arbeit erhalten diese Schulen vom Freistaat Zuschüsse. In diesem Jahr werden es laut Kultusministerium rund 500 Millionen Euro sein. Daneben finanzieren sich die Einrichtungen durch Schulgeld, das monatlich meist zwischen 150 und 300 Euro liegt. Träger können beispielsweise Kirchen, Sozialwerke, Vereine, Gesellschaften oder auch Privatpersonen sein. Im Fall der Leipziger Goerdeler-Schule ist es der bundesweit agierende Semper-Verbund.

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Tatsächlich wählen in Sachsen immer mehr Eltern eine freie Schule für ihre Kinder: Die Anmeldezahlen steigen seit Jahren deutlich an. Gab es vor zehn Jahren insgesamt 394 solcher Einrichtungen, an denen insgesamt 60 500 Schülerinnen und Schüler lernten, waren es zum Schuljahresbeginn in dieser Woche 422 mit 81 200 Kindern und Jugendlichen – das sind jeweils neue Höchstwerte im Freistaat. Die Zahl der Lehrkräfte stieg in diesem Zeitraum von 4600 auf fast 7400.

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Verband: Unterrichtsausfall tendiert bei uns gegen null

In Sachsen gibt es derzeit 90 Grundschulen, 82 Oberschulen, 44 Gymnasien, 22 Förderschulen und 167 berufsbildende Schulen in freier Trägerschaft. An den 1381 staatlichen Schulen lernen aktuell 432 000 Schülerinnen und Schüler.

Dabei können die freien Schulen bei vielen Eltern offenbar nicht nur mit kleineren Klassen, sondern auch mit weniger Unterrichtsausfall als an staatlichen Einrichtungen punkten. „Wir sichern den Lernprozess ab. Der Stundenausfall tendiert gegen null“, erklärt AGFS-Sprecher Kost. Manja Bürger vom Privatschulen-Verband sieht unter anderem in dem Schulgeld, das bei freien Schulen gezahlt werden muss, eine Ursache: „Wir können uns hohe Ausfallquoten gar nicht leisten, weil wir in der Pflicht stehen.“ Auch die Leipziger Schulleiterin Schmidt sagt über ihren Alltag: „Wir tun alles, damit keine Stunden ausfallen müssen – und das schaffen wir in den allermeisten Fällen.“

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