Autor Dmitry Glukhovsky über Russland

„Die Hasspropaganda macht die Leute in Russland verrückt“

Soldaten während der Parade des „Tag des Sieges“ in Moskau.

Soldaten während der Parade des „Tag des Sieges“ in Moskau.

Berlin. Der russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky (43) wurde international durch seine in 35 Ländern erschienene Trilogie „Metro 2033–2035″ bekannt, die sich vier Millionen Mal verkaufte. Jetzt ist im Heyne Verlag mit „Der Aufbruch“ der zweite Teil des dystopischen Romans „Outpost“ auf Deutsch erschienen, der ein düsteres Bild Russlands in der nahen Zukunft zeichnet. Glukhovsky lebt inzwischen im Ausland, gegen ihn läuft in Moskau ein Prozess, ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit ihm.

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Herr Glukhovsky, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über das fiktive Zarenreich Moskowien, das durch einen verheerenden Bürgerkrieg gespalten und vom Westen isoliert ist. Ist das als Metapher für eine kommende Situation in Ihrem Heimatland zu verstehen?

Ich benutze in allen meinen Romanen die Fiktion als Metapher zur Beschreibung der Wirklichkeit. In „Der Aufbruch“ beschreibe ich die Auswirkungen der Hasspropaganda, die bei uns im Fernsehen läuft. Seit der Annexion der Krim 2014 ist das russische Fernsehen zu einer Propagandawaffe geworden. Sie wird dazu benutzt, die Ukrainer zu entmenschlichen, den Westen herabzuwürdigen und die Russen gegen beide aufzuhetzen.

Dmitry Glukhovsky wurde mit seiner „Metro“-Trilogie weltbekannt. Nach einem verheerenden Krieg haben sich in Moskau Überlebende in die Tiefen des U-Bahn-Netzes zurückgezogen und dort eine neue Zivilisation errichtet.

Dmitry Glukhovsky wurde mit seiner „Metro“-Trilogie weltbekannt. Nach einem verheerenden Krieg haben sich in Moskau Überlebende in die Tiefen des U-Bahn-Netzes zurückgezogen und dort eine neue Zivilisation errichtet.

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In Ihrem neuen Roman geht es um einen Wahn, der dazu führt, dass jeder, der die Laute eines Infizierten hört, sofort selbst angesteckt wird und zu einem blutrünstigen Monster mutiert. Wo ist da der heutige Bezug?

Die langfristige Auswirkung der heutigen Hasspropaganda ist, dass die Leute verrückt werden. Ich überzeichne hier absichtlich, aber im Prinzip sind das die Vorgänge, die im Bewusstsein eines russischen Bürgers stattfinden. Durch die Hassreden und diese berüchtigten TV-Talkshows findet eine Entmenschlichung und eine Rechtfertigung des Krieges statt und das destabilisiert auch das Denken der Menschen. Ich beschreibe das wie einen Virus. Man hört Laute, die keinen Sinn ergeben, wird davon verrückt, reproduziert das weiter und steckt die nächsten an.

Im Grunde ist das wie eine neurolinguistische Programmierung: Hassrede führt zu Hass. Dieser Wahn, der in „Der Aufbruch“ von den Regierenden generiert und gegen das eigene Volk eingesetzt wird, um dieses zu unterdrücken, gerät außer Kontrolle und unterscheidet nicht mehr zwischen Freund und Feind, das heißt, auch die Herrschenden werden ihm zu Opfer fallen.

In Russland ist „Der Aufbruch“ schon im Mai 2021 erschienen, also lange vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Wie haben die Leser dort das Buch aufgenommen?

Seit Beginn des Krieges bekomme ich sehr viel Feedback von meinen Lesern über die sozialen Netzwerke, und sie schreiben mir, ich hätte alles richtig vorausgesagt. Natürlich ist mein Roman keine Prophezeiung. Ich bin von meiner Ausbildung her politischer Journalist und habe lange Zeit die russischen Medien beobachtet und analysiert. Ich sehe meine Mission darin, der Propaganda etwas entgegenzusetzen. Ich möchte dabei helfen, Propagandamythen zu entlarven, weil ich glaube, dass diese geistige Infiltration langfristig zerstörerisch auf das russische Volk wirken wird.

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Sie vertreten die These, dass mit diesem Krieg gegen die Ukraine eine mentale Zerstörung Russlands einhergeht.

Ja, genau. Putins Reich basiert auf Lügen, Angst und Repressalien. Alle Wahlen wurden manipuliert. Putin hat nie eine ernsthafte freie Abstimmung zugelassen. Was ich befürchte, wovor ich Angst habe, ist, dass dieser Krieg die Bevölkerung buchstäblich irre machen und zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Der Zerfall eines Landes, das Atomwaffen hat: Das könnte für den ganzen Kontinent gefährlich werden.

Cover des zweiten Teils des Romans „Outpost“  („Der Aufbruch“). Das Buch hat 488 Seiten und kostet 22 Euro.

Cover des zweiten Teils des Romans „Outpost“ („Der Aufbruch“). Das Buch hat 488 Seiten und kostet 22 Euro.

Stichwort Atomwaffen. Ist Putin bereit, sie einzusetzen?

Putins Krieg ist beispiellos in Europa seit 1945. Am Anfang seines „Abenteuers“ wusste er natürlich nicht, wie die USA und die Europäer reagieren würden. Ich glaube, dass er den Westen mit seiner Bereitschaft, Atomwaffen einzusetzen, erschrecken wollte. Jetzt denke ich, dass das Risiko quasi null ist, denn um diesen Schritt zu gehen, müsste Putin fühlen, dass sein Regime in Gefahr ist. Davon kann keine Rede sein. Es geht nicht um die Eroberung Russlands, sondern „nur“ um die Befreiung der Ukraine. Und auch innenpolitisch hat er nichts zu befürchten.

Was denken Sie, wie wird dieser Krieg ausgehen?

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Als der Krieg begann, habe ich zuerst natürlich an meine Freunde und Bekannten in der Ukraine gedacht. Ich habe auch Geschäftspartner dort. Das Computerspiel zu meiner „Metro“-Trilogie wurde in der Ukraine entwickelt. Als Nächstes dachte ich, wenn Russland diesen Krieg verliert, dann gibt es eine kleine Hoffnung, dass die Russen daraus etwas lernen, nämlich dass Diktatur etwas Schreckliches ist und dass man nicht jahrzehntelang auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg masturbieren muss oder alles damit rechtfertigen kann.

Vielleicht nehmen wir dann die Entwicklung eines normalen europäischen Landes. Eine schlechtere Variante wäre der Zerfall des Landes, und die noch schlimmere Option wäre ein Sieg Putins und damit die Verewigung seines Reiches. Ein schreckliches Szenario für zwei weitere Generationen.

+++ Alle News zum Krieg in der Ukraine in unserem Liveblog +++

Wie müsste man sich das Ihrer Meinung nach vorstellen?

Naja, wir erleben jetzt eine Transformation von einem kriminellen Feudalismus zu einer kriminellen Monarchie. Das wird eine absolute Monarchie sein. Gesellschaftlich gesehen sehr im Mittelalter verhaftet, aber technologisch betrachtet, sehr in der Zukunft, in einer schwarzen Zukunft. Putin ist paranoid, er liebt Kontrollmechanismen wie Gesichtserkennungstechnik oder Überwachungskameras.

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Werden die Menschen das alles so mitmachen?

Die Russen leisten keinen Widerstand, nicht, weil sie alle Faschisten sind oder Ukraine-Hasser. Sie verhalten sich einfach passiv, infantil und konform. Die Leute befürchten, Probleme mit dem Staat, mit der Polizei zu bekommen, natürlich zu Recht. Sie glauben immer noch, dass die Macht irgendwo von oben kommt. Das ist eine seit Jahrzehnten erlernte Hilflosigkeit. Und deswegen ergibt es aus ihrer Sicht auch keinen Sinn, dagegen aufzubegehren.

Viele von denen, die dagegen sind, und da sprechen wir von etwa einer Million, haben seit Kriegsbeginn das Land verlassen. Ich finde, es ist sehr wichtig, dass sie im Westen Schutz bekommen. Man kann nicht von den Menschen erwarten, dass sie mit bloßen Händen gegen Putins Unterdrückungsmaschine kämpfen.

Wenn es im Land selbst keinen Widerstand gibt, wird sich womöglich nie etwas ändern.

Vielleicht werden es die Veteranen sein, die eines Tages aus dem Ukraine-Krieg zurückkehren. Sie haben den Tod gesehen, haben selbst getötet und sind selbst fast gestorben. Sie werden keine Angst mehr vor Repressalien haben. Wir reden hier über Hunderttausende Männer, die eine Morderfahrung in sich tragen, eine traumatisierte und brutalisierte Generation.

Das sind Leute, die nach Hause kommen und dann vielleicht ihre Frauen und Kinder schlagen, aber vielleicht auch zu einem Aufstand bereit sind. Ob sie allerdings das Land im demokratischen Sinne verändern werden, ist eine große Frage. Vielleicht wird die Erhebung extrem rechts oder extrem links sein.

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Zur Person

Dmitry Glukhovsky wurde 1979 in Moskau geboren. Er studierte Journalismus und Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seine weltweit übersetzte „Metro“-Trilogie, die auf Deutsch im Heyne-Verlag erschienen ist, spielt nach einem Atomkrieg in der Moskauer ­U-Bahn. Der Auftaktband, „Metro 2033″, diente als Vorlage für ein Videospiel. Glukhovskys dystopischer Roman „Outpost" besteht aus zwei Teilen: Teil 1, „Der Posten“, kam 2021 in deutscher Übersetzung heraus, Teil 2, „Der Aufbruch“, erschien jetzt bei Heyne. 2022 kam zudem ein Band mit politischen Essays des Autors auf Deutsch heraus.

Sie haben ihre jungen Landsleute öffentlich aufgerufen, das Land zu verlassen, zu desertieren.

Es ist in jedem Fall besser zu desertieren, als an die Front zu gehen und unschuldige Menschen zu töten und dann selbst auch zu sterben. Der Staat verführt die jungen Leute mit Geld und patriotischen Missionen und Mythen. Das Putin-Regime behauptet, dieser Krieg wäre die Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs, ein Kampf gegen die USA und so weiter. Das ist alles Bullshit. Natürlich können nicht alle fliehen, manche haben keinen Pass oder kein Geld oder sie können ihre Familie nicht verlassen.

Aber die, die gehen können, sollten alle verschwinden, um im Ausland etwas Nützliches zu lernen und den Tod zu vermeiden.

Von dem deutschen Autor Kurt Tucholsky stammt der Ausspruch „Soldaten sind Mörder“. Sie schreiben, wer einen unschuldigen Menschen tötet, ist ein Kriegsverbrecher. Sind Sie Pazifist?

Wenn ein russischer Soldat an der Frontlinie gezielt einen Ukrainer erschießt, wenn er absichtlich Zivilisten tötet, dann ist er schon ein Kriegsverbrecher, weil das ein Angriffskrieg ist. Pazifist klingt ein bisschen idealistisch. Ich bin natürlich gegen den Krieg und gegen Kriege im Prinzip. Aber ich denke, die Ukrainer müssen sich verteidigen, sie haben jedes Recht dazu.

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Ich glaube nicht, dass die Lösung darin bestehen kann, dass die Ukraine aufgibt und Putin die besetzten Gebiete überlässt. Dann würde er irgendwann weitermachen. Eine Diktatur braucht nach einem Sieg den nächsten Sieg, sonst kann sie nicht wachsen.

News Themen der Woche KW21 News Bilder des Tages Ukraine-Konflikt, Russisches Verteidigungsministerium veröffentlicht Truppenaufnahmen  UKRAINE  MAY, 2022: Pictured in this video screen grab are Russian Western Military District troops deploying 152mm Msta-B towed howitzers to destroy strongpoints and military hardware of the Ukrainian Armed Forces. The Russian Armed Forces are carrying out a special military operation in Ukraine in response to requests from the leaders of the Donetsk People s Republic and Lugansk People s Republic for assistance. Video grab. Best possible quality. Russian Defence Ministry/TASS A STILL IMAGE TAKEN FROM A VIDEO PROVIDED 25 MAY 2022 BY A THIRD PARTY. EDITORIAL USE ONLY PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS1328D2

„Ein Spiel mit offenen Karten“: Russisches Militär kann ukrainischen Funk abhören – Experten sind alarmiert

Zu Beginn des Krieges schüttelten Militärs im Westen noch den Kopf über die amateurhaften Fehler der Russen. Doch inzwischen haben die russischen Streitkräfte aus ihren Misserfolgen gelernt – und machen den Ukrainern die Gegenoffensive damit schwerer.

Das heißt, auch Sie befürworten den völligen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, inklusive Krim?

Ja natürlich. Anders geht es nicht. Sonst kehrt Europa zurück zu den Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg. Und all die Errungenschaften, die mit dem Blut von Millionen bezahlt wurden, werden vernichtet. Dieser Krieg muss der letzte auf dem Kontinent sein. Und Putins Nachfolger oder Nachfolgende müssen begreifen, dass Russland einen stabilen Frieden mit der zivilisierten Welt braucht.

Gegen Sie läuft in Moskau in Abwesenheit ein Gerichtsverfahren. Was wirft man Ihnen vor?

Man wirft mir die Verbreitung falscher Informationen über die russische Armee vor, weil ich den Krieg verurteilt habe. Dafür kann man bis zu zehn Jahre Haft bekommen. Und dann wirft man mir noch vor, dass ich das aus Gründen des persönlichen Hasses gegenüber Präsident Putin getan habe. Dafür kann man weitere fünf Jahre bekommen. Es gibt schon mehrere Beispiele dafür.

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Den Journalisten Alexander Newsorow hat ein Moskauer Gericht in Abwesenheit Anfang des Jahres zu acht Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Die Bloggerin Veronika Belotserkovskaya wurde zu neun Jahren in Abwesenheit verurteilt. Mein Prozess läuft schon seit Anfang Februar. Irgendwann kommt ein Urteil.

Sind Ihre Bücher in Russland noch zu haben und wie hoch waren die Auflagen?

In den staatlichen und kommunalen Bibliotheken sind sie schon aussortiert. Aber im privaten Buchhandel sind sie noch erhältlich, allerdings nur in einer neutralen Verpackung. Und mit dem Stempel versehen, dass das Buch von einem ausländischen Agenten stammt.

In Russland sind die beiden Teile von „Outpost“ in einem Band erschienen, mit einer Auflage von 70.000 Exemplaren. Die Trilogie „Metro″ war im Jahr 2022 das populärste Buch meines Verlages mit 200.000 verkauften Exemplaren. 2021 war es George Orwells Dystopie „1984″. Das zeigt doch, die Leute verstehen sehr gut, worum es geht.



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