Gerhart Baum im Interview

75. Parteigeburtstag: „Die FDP muss deutlicher machen, wozu sie gebraucht wird“

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, hier auf einer Pressekonferenz im August, fordert mehr Profil von der FDP.

Berlin. Herr Baum, die FDP wird 75. Was wünschen Sie sich von Ihrer Partei zu deren Geburtstag?

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Ich wünsche mir, dass die FDP mit ihrer liberalen Botschaft mehr Wähler erreicht als bisher. Dafür muss sie diese präzisieren. Und ich wünsche mir, dass sie aus ihrer Tradition als eine Partei der Freiheitsbewegungen schöpft. Die FDP ist nicht nur Ampelpartei zur Lösung akuter Krisen. Sie muss Liberalität umfassender definieren.

Welche Rolle muss eine liberale Partei angesichts von fundamentalen weltweiten geopolitischen und geoökonomischen Veränderungen übernehmen mit den gravierenden Folgen neuer Technologien? Wie geht sie auf die wachsende Unsicherheit der Menschen ein? Wie bildet sie Vertrauen? Das Land braucht eine liberale Partei, aber die FDP muss noch deutlicher machen, wozu sie gebraucht wird.

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Wozu braucht es denn die FDP?

Natürlich für marktwirtschaftliche Kompetenz, aber diese verknüpft mit der Verantwortung für eine an Werten orientierte Gesellschaft. Aber das ist nicht genug. Die FDP müsste aus ihrer Tradition heraus an der Spitze derjenigen stehen, die die Bedrohung der Demokratie und der Freiheit mit allen Kräften bekämpfen. Eine Kampagne für unsere Demokratie ist gefordert. Die Freiheit und die Demokratie in unserem Land sind zum ersten Mal nach dem Kriege gefährlich bedroht.

Es gibt wachsende Kräfte, die die freiheitliche Ordnung ablösen wollen, die wir nach dem Krieg geschaffen haben. Sie wollen sich ein Deutschland wiederholen, das wir zum Glück überwunden haben. Sie wollen den Weg zu einem vereinten Europa verlassen. Die Gesellschaft muss sich noch deutlicher wehren – an der Spitze die Freiheitspartei, die ja diese Entwicklungen durchaus kritisiert. Aus dem „Hauch von Weimar“, der unsere Freiheit bedroht, ist schon ein spürbarer Luftzug geworden.

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Was sollte die FDP da tun?

Es geht um mehr: Die FDP muss Zukunftsentwürfe für einen modernen Liberalismus erarbeiten. Sie braucht ein umfassendes, in die Zukunft gerichtetes Krisenkonzept, eine Zukunftsvision. Die Welt ist aus den Fugen wie lange nicht. Außenpolitisches und europapolitisches Profil ist gefordert. Die FDP muss ihre intellektuelle Attraktivität stärken. Und sie darf sich in keinem Fall vom Sog des Rechtspopulismus anstecken lassen. Sie muss für moderne, aufgeschlossene, aufgeklärte Bürger vor allen Dingen in urbanen Bereichen attraktiv sein – gerade jetzt, wo ihre Konkurrenten in Sachen Liberalität schwächeln. Sie muss dem Trend nach rechts widerstehen.

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Es gibt FDP-Mitglieder, die einen Austritt aus der Koalition fordern, damit die Partei sich inhaltlich finden kann. Dazu soll es auch eine Mitgliederbefragung geben.

Das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Wer jetzt ausscheidet und dem Volk einen Trümmerhaufen hinterlässt, der wird bestraft, der kann sich für die nächste Wahl abmelden. Wir müssen alle stärker zusammenrücken. Auch die Opposition. Es hilft nur die Wahrheit: Die bequeme Normalität ist zu Ende.

Aus der SPD und von den Grünen gibt es Klagen, dass die FDP in der Ampelkoalition zu sehr auf Blockade setze. Wie sehen Sie das?

Die FDP muss besser verdeutlichen, wenn sie berechtigterweise Nein sagt, aber in manchen Fällen ihr Nein überdenken. Es gibt in der FDP noch immer eine starke Gruppe, an der Spitze der Vorsitzende, die die Sache rational sieht und an einer Handlungsfähigkeit der Ampel arbeitet. Es gibt andere, die mit der Flucht vor der Verantwortung liebäugeln.

Verstehen Sie in der Debatte um den Haushalt die Fokussierung der FDP auf die Schuldenbremse?

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Ich bin schon für eine solide Haushaltspolitik. Und die Schuldenbremse steht ja in der Verfassung. Für unverzichtbare Zukunftsinvestitionen gibt es auch heute schon Spielräume und auch für Einsparungen.

Die Ampelkrise schadet der Demokratie: Bitte reißt euch zusammen!

Wäre eine Reform der Schuldenbremse richtig?

Ich bin kein Ökonom. Es ist eine Gratwanderung. Denn an stabilen Finanzen geht ja nichts vorbei. Wenn man also die Schuldenbremse neu konzipiert, muss man das gut begründen.

Die FDP liegt bei um die 5 Prozent. Manche in der Partei sagen, das sei immer schon so gewesen. Kein Grund zur Beunruhigung also?

Für mich ist der Rückblick keine Beruhigungspille. Vor 2013 hatten wir dauerhaft niedrige Werte und flogen aus dem Bundestag. Zur Beruhigung ist heute kein Anlass, eher zur Beunruhigung.