Prozess in Potsdam

Laura und Noèl starben bei Tesla-Unfall: Jugendrichterin verkündet Urteil gegen den Fahrer

Die Freunde Laura Franke (18) und Noèl-Maurice Philipp-Milde (18) aus Beelitz sind am 16. August 2022 auf der L73 zwischen Dobbrikow und Hennickendorf tödlich verunglückt. Auf dem Friedhof in Beelitz haben sie ihre letzte Ruhe in einem gemeinsamen Grab gefunden.
Die Freunde Laura Franke (18) und Noèl-Maurice Philipp-Milde (18) aus Beelitz sind am 16. August 2022 auf der L73 zwischen Dobbrikow und Hennickendorf tödlich verunglückt. Auf dem Friedhof in Beelitz haben sie ihre letzte Ruhe in einem gemeinsamen Grab gefunden.

Potsdam. Das Amtsgericht Potsdam hat den jungen Mann, der im Sommer 2022 den Tod seiner beiden besten Freunde Laura Katharina Franke und Noèl-Maurice Philipp-Milde aus Beelitz (Potsdam-Mittelmark) verursacht hat, der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung für schuldig befunden und nach Jugendstrafrecht verwarnt. Der Angeklagte hatte am Steuer eines Tesla Model S gesessen – der voll besetzte Wagen verunglückte auf der L73 zwischen Dobbrikow und Hennickendorf (Teltow-Fläming).

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Die Staatsanwaltschaft und der Sachverständige, der den Unfall begutachtet hat, gingen von einem Fahrfehler aus. Nachdem Jan M. (20) mit dem PS‑starken E‑Auto eine Linkskurve passiert hatte, ist er demnach nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und auf einen auslaufenden Bordstein geraten. Der Tesla kollidierte mit einem Baum und ging in Flammen auf. Während sich der damals 19‑jährige Angeklagte, die 16‑jährige Beifahrerin und ein 17‑jähriger Mitfahrer aus dem Wrack retten konnten, verbrannten Laura und Noèl auf dem Rücksitz. Sie wurden 18 Jahre alt.

Mussten Laura und Noèl sterben, weil sich die hinteren Türen des Tesla weder von außen noch von innen öffnen ließen? Die Türen der vier in Deutschland genehmigten Tesla-Modelle werden elektrisch betätigt. Von außen durch leichtes Drücken auf den Griff, der dann ausfährt, von innen per Knopfdruck. Das funktioniert aber nur, wenn die Stromversorgung nicht beeinträchtigt ist. Zwar sind bei allen Modellen mechanische Notöffnungen möglich – aber nicht bei allen Türen. Die rettenden Mechanismen sind zudem auf den ersten Blick nicht erkennbar, die erforderlichen Handgriffe bei jedem Modell anders.

Brennender Tesla: Verzweifelte Versuche, die Türen zu öffnen

Tim S., der mit Laura und Noèl auf der Rückbank gesessen hatte, schilderte: „Ich habe probiert, an den Türen zu rütteln, ich habe doll gegen gedrückt auf beiden Seiten“, er habe aber die Hintertüren nicht aufbekommen und habe es dann durch eine der vorderen Türen nach draußen geschafft. Auch die Ersthelfer berichteten von ihren verzweifelten Versuchen, die Türen und den Kofferraum zu öffnen, um die bewusstlosen Jugendlichen aus dem Fond zu retten. Doch die versenkten Türgriffe reagierten nicht und wurden zum unüberwindbaren Hindernis.

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„Ich habe angefasst – es war schon heiß“, sagte Bauarbeiter Kenny H. (32). „Es ging nix, der Griff war glatt.“ Berufskraftfahrer Ronald M. (61) berichtete: „Die Türen konnten wir nicht aufmachen, weil da keine Griffe dran sind.“ „Wir haben gegen die Griffe gedrückt – es ist nichts passiert“, sagte Bundeswehrsoldat Andreas M. (35). „Der Griff war schon heiß – aber daran zu ziehen, wäre noch gegangen“ – vorausgesetzt, er hätte funktioniert. Über den vorderen Teil des Autos sei man wegen des Feuers und der Wärme nicht an die Rückbank gekommen. Sie hätten auch versucht, die Scheiben einzuschlagen – in Ermangelung eines Werkzeugs mit den Ellbogen und Fäusten. „Wir haben das Auto einfach nicht aufgekriegt.“

Technisches Gutachten zum tödlichen Tesla-Unfall

Für den heutigen Verhandlungstag waren nochmals vier Zeugen geladen, darunter zwei weitere Ersthelfer. Zudem standen die Ausführungen der Jugendgerichtshilfe aus. Weil der Angeklagte zur Tatzeit älter als 18, aber noch nicht 21 Jahre alt und somit Heranwachsender war, konnte die Richterin entscheiden, ob sie Jugendstrafrecht oder aber das härtere Erwachsenenstrafrecht anwendet. Die Entscheidung hängt von der Reife des Angeklagten ab, also davon, ob er eher einem Jugendlichen entspricht oder einem Erwachsenen. Die Jugendgerichtshilfe unterstützte die Richterin bei dieser Einschätzung – man ging einhellig davon aus, dass für Jan M. das Jugendstrafrecht anzuwenden ist.

Der technische Sachverständige hatte den Unfallhergang rekonstruiert und die Frage beantwortet, ob der Angeklagte den Unfall bei Beachtung der im Straßenverkehr notwendigen Sorgfalt hätte vermeiden können. – Der Experte kam zu dem Schluss, dass der Unfall zu vermeiden gewesen wäre, hätte Jan M. die Geschwindigkeit gedrosselt. Er hätte für sein Fahrvermögen deutlich unter der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h fahren müssen, um die Kurve sicher zu passieren: „Es ist im Lande der Irrtum verbreitet, dass die zugelassene Höchstgeschwindigkeit auch auf der ganzen Strecke umzusetzen ist.“ Auch mit der Türproblematik hatte sich der Sachverständige auseinandergesetzt. Er spricht von einer Fehlfunktion. Gleichwohl sei das Fahrzeug für den Verkehr in Europa und in Deutschland zugelassen: „Ich persönlich finde es auch nicht gut – es gibt bessere technische Lösungen.“

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Tod in brennendem Tesla: Sechs Plädoyers reichen von Freispruch bis Mord

Die Schlussvorträge der Staatsanwaltschaft, der vier Nebenklageparteien und der Verteidigung deckten die gesamte Bandbreite ab. So forderte die Verteidigung einen Freispruch, einer der Nebenklageanwälte plädierte gar auf Mord. Die Jugendrichterin folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft, verwarnte den sichtlich erleichterten Jan M. und erteilte ihm diverse Auflagen. So erhielt er ein dreimonatiges Fahrverbot, er muss binnen fünf Monaten an einem Fahrsicherheitstraining teilnehmen und den Familien von Laura und Noèl sowie seinen beiden überlebenden Mitfahrenden ein Gesprächsangebot unterbreiten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“.