Vorschlag des Justizminsteriums

Richterbund lehnt Entkriminalisierung der Unfallflucht ab

Unfallflucht: Ein Unbekannter verursacht Schäden an Kotflügel, Spiegel und Fahrertür.
Unfallflucht: Ein Unbekannter verursacht Schäden an Kotflügel, Spiegel und Fahrertür.

Berlin. Der Deutsche Richterbund lehnt eine mögliche Entkriminalisierung der Unfallflucht, bei der keine Personen verletzt wurden, ab. „Aus Sicht der Justizpraxis besteht kein Anlass, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in Fällen ohne Personenschaden zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen“, sagte der Bundesgeschäftsführer des Richterbunds, Sven Rebehn, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Strafvorschrift hat sich bewährt und gibt den Gerichten ausreichend Spielräume, um Rechtsverstöße jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen“, so Rebehn.

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Das RND hatte am Dienstag über Pläne des Bundesjustizministeriums berichtet, die Unfallflucht von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Ein entsprechendes Papier hatte das Ministerium nach Ostern mit Bitte um Stellungnahme an Fachverbände und die Landesjustizverwaltungen verschickt. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte am Dienstag, eine Entscheidung über eine mögliche Reform sei noch nicht getroffen worden. Im Koalitionsvertrag sei vereinbart worden, „das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu prüfen“, schrieb Buschmann auf Twitter. „Dabei soll der Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die Entlastung der Justiz gelegt werden.“

Das an die Verbände verschickte Papier mit Eckpunkten für eine mögliche Reform will das Ministerium nicht als Eckpunktepapier verstanden wissen – es handele sich um ein „Schreiben der Fachebene des BMJ“, wie eine Ministeriumssprecherin am Dienstag mitteilte.

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Richterbund rechnet nicht mit Entlastung der Justiz

Der Deutsche Richterbund geht nicht davon aus, dass eine solche Reform zu einer Entlastung der Strafjustiz führen würde. „Auf die Gerichte käme vermutlich sogar mehr Arbeit zu. Die Fälle werden heute durch die Staatsanwaltschaften vorbereitet und zu einem großen Teil durch Einstellungen erledigt. Künftig würden die Ordnungsbehörden im Zweifel einen Bußgeldbescheid erlassen, den viele Betroffene dann sicher gerichtlich überprüfen lassen“, sagte Rebehn.

Kriminalpolitisch sei es zudem fragwürdig, eine Unfallflucht in Fällen von Sachschäden zu entkriminalisieren, „weil ein Knöllchen für viele kaum abschreckend wirken dürfte“. Es sei zu befürchten, dass die Warte- oder Meldebereitschaft nach Unfällen durch die geplante Reform weiter sinken würde.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht die Pläne kritisch. „Wir werden den Vorschlag des Bundesjustizministeriums mit den Verkehrsexperten in den einzelnen Landesbezirken diskutieren. Man kann jetzt aber schon sagen: Eine solche Änderung würde die Staatsanwaltschaften entlasten, aber dafür die Bußgeldstellen belasten“, sagte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Michael Mertens dem RND.

Jörg Müller gibt es, das Kennzeichen gibt es und den Traktor gibt es, aber alle drei waren nie zusammen in Frankreich, geschweige denn, dass sie dort geblitzt worden wären.

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Jörg Müller war zuletzt als Jugendlicher in Frankreich. Umso mehr ärgert sich der 55-Jährige über einen Strafzettel aus dem Land. Er soll mit 107 Stundenkilometern geblitzt worden sein – am Steuer seines jahrzehntealten Traktors, der maximal 30 fährt.

Er sehe die Gefahr, dass nun der Eindruck erweckt werde, die Unfallflucht sei bloß ein Kavaliersdelikt, so Mertens. „Ich habe als Polizist viele Unfallfluchten aufgenommen und weiß, wie gravierend die Auswirkungen für Geschädigte sein können – gerade für Autobesitzer ohne Vollkaskoversicherung. Die Unfallflucht darf deshalb nicht zur Bagatelle werden.“

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ADAC begrüßt die Reformidee

Begrüßt wurde die Reformidee dagegen durch den ADAC. Der Leiter der juristischen Zentrale des ADAC, Markus Schäpe, sagte dem RND: „Wer heute nach einem Parkrempler einen Zettel mit seinen Daten hinterlässt, wird zwingend als Straftäter verfolgt – er hätte eine ‚angemessene Zeit‘ warten müssen. Das geht an der Realität vorbei, weswegen sich der ADAC wie auch der Verkehrsgerichtstag seit Jahren für eine Reform eingesetzt hat.“ Die Ahndung einer einfachen Unfallflucht als Ordnungswidrigkeit führe nicht zur Schlechterstellung der Geschädigten.

Die Versicherer dringen darauf, im Rahmen einer Reform die Möglichkeiten der Beweissicherung nicht einzuschränken. „Unfallursache und -hergang müssen sich zweifelsfrei feststellen lassen“, sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Das gelte beispielsweise für die Frage, ob Alkohol oder Drogen mit im Spiel waren. „Die Fahrtüchtigkeit des Unfallverursachers kann nur unmittelbar nach dem Unfall festgestellt werden“, betonte Asmussen. Fahrerflucht dürfe außerdem nicht dazu führen, dass Unfallopfer auf ihren Sachschäden sitzen bleiben, sagte der GDV-Chef.

Als eine Begründung für die Reformpläne wird im Papier des Bundesjustizministeriums angeführt, dass die aktuelle Gesetzeslage zur Unfallflucht das Prinzip der „Straflosigkeit der Selbstbegünstigung“ durchbreche. Aus diesem Grund sehen viele Strafrechtler den entsprechenden Paragrafen 142 des Strafgesetzbuchs seit jeher kritisch: Um keine strafbare Unfallflucht zu begehen, muss ein Unfallverursacher sich selbst bezichtigen – auch wenn er beispielsweise alkoholisiert gefahren ist und sich durch die Meldung bei der Polizei weiteren strafrechtlichen Ermittlungen aussetzt. In dieser Hinsicht stellt der Paragraf eine Ausnahme im deutschen Strafrecht dar.

Dem an Fachverbände verschickten Papier zufolge erwägt das Bundesjustizministerium auch, eine Meldepflicht und Meldestelle einzuführen anstelle der bisher geltenden Pflicht, eine angemessene Zeit am Unfallort zu warten. Das hält auch der Deutsche Richterbund für erwägenswert. „Allerdings müssten dafür digitale Meldewege aufgebaut werden, die zuverlässig und einfach erreichbar sind“, sagte Richterbund-Geschäftsführer Rebehn. „Ein föderaler Flickenteppich, in dem jedes Bundesland oder sogar jeder Landkreis seine eigene technische Lösung entwickelt, wäre für die Akzeptanz eines Meldemodells sicher fatal.“