Newsletter „Klima-Kompass“

Sind wir nicht alle die letzte Generation?

Liebe Leserinnen und Leser,

die Klimakleber sind zurück. Ausgerechnet zur Ferienzeit, wenn im ganzen Land die urlaubsreifen Deutschen nach Süden streben, legten die Klimaschutz-Aktivisten der Letzten Generation überraschend gleich mehrere deutsche Flughäfen lahm, indem sie sich aufs Rollfeld klebten. Moment mal, hatten die sich nicht verabschiedet? Da war doch was.

Stimmt: Anfang des Jahres hatte die Letzte Generation angekündigt, die Protestform zu ändern und sich mehr auf die Politiker zu konzentrieren, die zu wenig für den Klimaschutz tun. Dass das so ist, wurde der Welt dieser Tage erneut klargemacht: Gerade erste erklärte der EU‑Klimawandeldienst Copernicus, dass nun schon seit mehr als einem Jahr jeder Monat die 1,5‑Grad-Schwelle erreichte oder überschritt.

Die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele, mit denen eine dauerhafte Erderwärmung über diese Marke und damit unumkehrbare Klimaänderungen vermieden werden sollen, sind kaum noch erreichbar. Und während sich in Deutschland mancher über das wechselhafte Sommerwetter ärgert, meldete Copernicus in dieser Woche einen weiteren Rekord: Der vorige Sonntag war mit einer globalen Durchschnittstemperatur von mehr als 17 Grad der heißeste jemals auf der Erde gemessene Tag.

Angesichts solcher Meldungen ist fraglich, wie lange die Deutschen überhaupt noch gen Süden jetten wollen – erwarten die Touristen doch in etlichen Ländern längst Ablehnung durch genervte Einheimische sowie Gluthitze, die man ohnehin besser meidet. Vielleicht will mancher aber auch seine letzte Chance auf einen erträglichen Spanien- oder Italien-Urlaub nutzen, solange es noch geht. Insofern: Sind wir nicht alle die letzte Generation?

 

Punkt eins: Missverständnis der Klimaaktivisten

Polizisten stehen auf dem Flugfeld des Flughafens Düsseldorf und versuchen Aktivisten der Gruppe Letzte Generation am Flughafen vom Asphalt zu lösen, nachdem sie sich festgeklebt haben. (Archivfoto)
Polizisten stehen auf dem Flugfeld des Flughafens Düsseldorf und versuchen Aktivisten der Gruppe Letzte Generation am Flughafen vom Asphalt zu lösen, nachdem sie sich festgeklebt haben. (Archivfoto)

Als die Klimaaktivisten der Letzten Generation – der Name soll unterstreichen, dass zurzeit die letzte Generation lebt, die eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad noch abwenden kann –, als also die medial auf Klimakleber Getauften Anfang des Jahres ihre Proteststrategie für 2024 verkündeten, da hatte die deutsche Gesellschaft aufgeatmet: Es sollte Schluss sein mit dem Festkleben auf den Straßen – und damit auch mit zusätzlichen Staus, behinderten Rettungseinsätzen, gewalttätigen Autofahrern.

„Wir sind als Bewegung jetzt an einem Punkt, an dem wir mit so vielen Menschen wie nie zuvor gemeinsam auf die Straßen gehen können“, hatte die Sprecherin der Letzten Generation, Lea-Maria Rhein, im RND-Interview erklärt. „Wir werden ungehorsame Versammlungen durchführen und uns so dem tödlichen Weiter-so der Regierung in den Weg stellen. Außerdem werden wir Politikerinnen und Politiker konkret an ihre Verantwortung erinnern und Proteste dort durchführen, wo die meisten Emissionen entstehen.“

In dieser Woche meldete sich die Letzte Generation nun mehr als auffällig zurück: An gleich mehreren deutschen Großflughäfen legten sie durch Eindringen aufs Rollfeld den Flugverkehr lahm. Am Mittwoch war der Flughafen Köln/Bonn blockiert worden. Am Donnerstagmorgen musste der Flugbetrieb am Flughafen in Frankfurt am Main für mehrere Stunden unterbrochen werden, da sich sieben Menschen an Start-und-Lande-Bahnen festgeklebt hatten.

Die stundenlange Aussetzung von Start- und Landeverkehr bringt wieder maximalen Ärger für Urlaubs- und Geschäftsreisende, Airlines und die Logistikbranche. Dass das ausgerechnet in den Ferien war, war freilich beabsichtigt – und passte im Grunde zur Ankündigung vom Anfang des Jahres, dort zu protestieren, „wo die meisten Emissionen entstehen“.

Das Verständnis von Öffentlichkeit, Politik und Medien tendierte dennoch gegen null. Erneut wurden – neben der Frage nach der Flugsicherheit – Rufe nach Strafverschärfungen laut. Außerdem wurde debattiert, warum die Klimakleber ihre Strategieänderung denn wieder kassiert hätten – worauf die Letzte Generation gegenüber meinem Kollegen Thoralf Cleven von einem offenkundigen Missverständnis sprach: „Wir haben nie gesagt, dass sich niemand mehr festkleben wird“, sagte ihm eine Sprecherin. Also wieder eine hitzige Debatte – über die Aktivisten, nicht über die Erderwärmung, kritisiert Cleven in seinem RND-Kommentar.

 

Punkt zwei: Olympia zwischen Nachhaltigkeit und Hitzekollaps

Die olympischen Ringe sind auf dem Eiffelturm zu sehen. Auf dem Champ-de-Mars (l) werden bei den Olympischen und Paralympischen Spielen 2024 in Paris die Disziplinen Beachvolleyball und Blindenfußball ausgetragen.
Die olympischen Ringe sind auf dem Eiffelturm zu sehen. Auf dem Champ-de-Mars (l) werden bei den Olympischen und Paralympischen Spielen 2024 in Paris die Disziplinen Beachvolleyball und Blindenfußball ausgetragen.

Wer sich von den Katastrophenmeldungen ablenken möchte – oder den Sommerurlaub für eine Bahnreise zu einem seltenen Spektakel nutzen mag –, der ist dieser Tage in Paris genau richtig: An diesem Freitag werden in der französischen Hauptstadt die Olympischen Sommerspiele 2024 feierlich eröffnet.

Weil aber ein solches Mammutereignis mit all den Flügen quer durch die Welt, den großen Dieselgeneratoren und unzähligen Klimaanlagen an den Sportstätten bislang stets eine ähnliche Klimabilanz – so schätzen es Experten – wie die Einwohner einer mittleren deutschen Großstadt in einem ganzen Jahr hat, betreiben die Veranstalter einigen Aufwand: Sie wollen „die grünsten Spiele jemals“ ausrichten und Emissionen im Vergleich zu vorherigen Spielen – wie London 2012 oder Rio 2016 – halbieren.

Paris setzt daher größtenteils auf Veranstaltungsorte, die schon bestehen oder temporär aufgebaut werden. Manche Stätten sollen nach den Spielen zu einem nachhaltigen Wohn- und Büroviertel umgestaltet werden. Alle Anlagen sollen ans Energienetz angeschlossen sein, um nicht auf energiefressende Generatoren angewiesen zu sein. Sie sollen außerdem alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein, viele auch mit dem Rad. Die offizielle – und verkleinerte – Fahrzeugflotte setzt auf Elektro- und Hybridfahrzeuge. Auch das Catering soll ergrünen: Verglichen mit London sollen doppelt so viele pflanzliche Lebensmittel auf dem Speiseplan stehen, dafür mit deutlich weniger Verpackung.

„In Sachen Nachhaltigkeit ist Paris also ein Schritt nach vorn“, urteilt deshalb der Olympiaexperte des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), Fabian Hambüchen, der einst selbst als Turner bei vier Olympischen Sommerspielen antrat und während der Pariser Spiele als Kolumnist fürs RND schreiben wird. „Paris kann Deutschland zeigen, was als Olympiagastgeber machbar ist“, urteilt Hambüchen in seiner ersten Olympia-Kolumne.

Nur ein Problem kann auch das beste Nachhaltigkeitskonzept kaum lösen: Die besagte – siehe oben – Hitze. Wie meine Kollegin Laura Beigel recherchiert hat, könnten die Olympischen Sommerspiele in diesem Jahr deshalb gefährlich für Sportler und Zuschauer werden. Sie hat mit Experten gesprochen: Kann man den Olympioniken solche Wettkämpfe überhaupt noch zumuten?

 

Punkt drei: Seit diesem Monat müssen uns die Städte schützen

Viele Straßen sind in Babenhausen im bayerisch-schwäbischen Landkreis Unterallgäu überflutet. Das neue Gesetz zur Klimaanpassung soll Menschen unter anderem davor besser schützen.
Viele Straßen sind in Babenhausen im bayerisch-schwäbischen Landkreis Unterallgäu überflutet. Das neue Gesetz zur Klimaanpassung soll Menschen unter anderem davor besser schützen.

Haben Sie es schon bemerkt? Seit drei Wochen leben wir in Deutschland in einer neuen Zeit. Nicht, weil wir schon klimaneutral wären. Für den Komplettausstieg aus Kohle, Öl und Gas hat die Bundesrepublik ja noch 21 Jahre Zeit. Weil sich aber das Klima bereits wandelt – und das auch dann nicht zurückgedreht wird, wenn wir das 2045-Ziel schaffen sollten –, müssen wir uns bekanntlich vor den Folgen der Erderwärmung schützen. Und das ist das Neue: Seit Beginn dieses Monats ist das für Bund und Länder nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine gesetzliche.

Ein neues Gesetz zur Klimaanpassung ist am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten. Um die Menschen vor Extremwetter, Flut, Hitze und anderen Klimawandelfolgen besser zu schützen, müssen Bund und Länder nun Strategien vorlegen, die eine flächendeckende Klimavorsorge ermöglichen. Ganz konkret setzt das Gesetz einen Rahmen fest, um etwa Notfallmaßnahmen an Starkregen-Hotspots zu ergreifen oder den Hitzeschutz für besonders gefährdete Gruppen wie alte Menschen und Säuglinge zu verbessern.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), die das Gesetz vor einem guten Jahr im Interview mit meiner Kollegin Alisha Mendgen und mir angekündigt und dann erfolgreich durch Kabinett und Bundestag gebracht hat, freut sich, dass aus den freiwilligen Vorgaben für entsprechende Konzepte jetzt eine verbindliche Vorgabe für die Kommunen geworden ist. Aber auch die Bundesregierung verpflichte sich mit dem Gesetz, „eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie mit messbaren Zielen vorzulegen, regelmäßig zu aktualisieren und fortlaufend umzusetzen“, wie Lemke betonte. Die genannte Strategie werde bis Ende des Jahres stehen, versprach sie.

Immerhin: Ihr Ministerium schätzt den Finanzbedarf für die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen bis 2030 auf 38 Milliarden Euro. Kleiner Haken an den aktuellen Vorgaben und Plänen: Wo genau so viel Geld herkommen soll, ist noch unklar. Das gehört zu den Lücken und Schwachstellen, die auch das neue Gesetz noch hat. Aber: Ein Anfang ist gemacht.

Gibt es Feedback oder Anregungen? Gern her damit an Klima-Kompass@rnd.de.

Mit nachhaltigen Grüßen

Ihr Steven Geyer

 

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