Europa will die Ukraine retten – und dann Russland an den Tisch holen

Luanda/Berlin. EU-Ratschef Antonio Costa legt einen Spurt zum Fahrstuhl hin. Er hat wenig Zeit. Gerade hat er sich mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hier im Luxushotel „Epic Sana“ in Angolas Hauptstadt Luanda getroffen. Gleich soll der informelle EU-Rat beginnen, den er einberufen hat, bevor die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in den Gipfel mit der Afrikanischen Union gehen - für den sie schließlich extra angereist sind.
Zwar ist auch in Luanda wieder etwas Hoffnung aufgekommen, seit am Sonntag in Genf Vertreter der USA und der Ukraine eigene Verhandlungen über den „Friedensplan“ von Donald Trump aufgenommen haben. Vielleicht können die Europäer doch noch verhindern, dass der US-Präsident das Land gemeinsam mit dem russischen Aggressor Wladimir Putin unterwirft. Aber niemand weiß, ob morgen nicht alles schon wieder ganz anders ist.
Friedrich Merz eilt am Mittag aus den Tiefen der heruntergekühlten Hotelräume zu einem Statement auf der Terrasse - mit Blick auf den Atlantik und eine vorgelagerte Halbinsel. Es ist schwül und heiß. Ihm stehen Schweißperlen auf der Stirn: Ein Sinnbild für die brandgefährliche Lage, in der die europäische Sicherheitsarchitektur steckt, wenn die Europäer den von ihnen weitgehend als himmelschreiend ungerecht empfundenen „Friedensplan“ nicht kippen.
Dieses Papier ist jetzt in wesentlichen Teilen modifiziert worden.
Friedrich Merz (CDU), Bundeskanzler
Der Kanzler sagt: „Dieses Papier ist jetzt in wesentlichen Teilen modifiziert worden.“ Er nennt keine Details. Aber die roten Linien für Europa waren Trumps erschütternde Ideen von den ukrainischen Gebietsabtretungen an Russland, der Reduzierung ihrer Streitkräfte, der Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögen für US-Profitinteressen, die Erweiterungsbeschränkungen für die Nato sowie der Rückkehr Russlands ins G8-Format.
„Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien“
Merz formuliert es so: Kiew dürfe nicht zu einseitigen Konzessionen gezwungen werden, was ihr Territorium angeht. Ferner: „Die Ukraine muss sich auch in Zukunft wirksam gegen Aggressionen zur Wehr setzen können, und dazu braucht sie starke Streitkräfte und belastbare Sicherheitsgarantien der Partner“, sagt der Kanzler.
So äußerte sich am Montag auch die „Allianz Ukrainischer Organisationen in Deutschland“: „Der veröffentlichte 28-Punkte-Plan stellt keinen Weg zu einem gerechten und nachhaltigen Frieden in der Ukraine dar“, sagte das Vorstandsmitglied Nataliya Pryhornytska dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Er ignoriert grundlegende Prinzipien des Völkerrechts, entspricht in zentralen Teilen den Forderungen des Kremls und gefährdet die Sicherheit Europas.“ Die zunächst vorgeschlagenen Maßnahmen würden den russischen Krieg belohnen, statt ihn zu stoppen. „Einen wirklichen Frieden kann es für die Menschen dort erst geben, wenn diese Gebiete de-okkupiert werden.“
Entscheidung liegt bei Trump und Selenskyj
Doch seit der ersten Veröffentlichung des Trump-Plans scheint sich einiges getan zu haben: Aus Genf kündigen die Delegationen der Amerikaner und Ukrainer, die dort verhandeln, einen gemeinsam überarbeiteten und verbesserten Entwurf an. Man sei sich einig, die intensive Arbeit an dem Vorschlag „in den kommenden Tagen“ fortzusetzen und sich dabei weiter eng mit den Europäern abzustimmen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Finale Entscheidungen über den neuen Plan würden von Trump und Wolodymyr Selenskyj getroffen.
US-Außenminister Marco Rubio sagte in Genf, die noch offenen Punkte seien „nicht unüberwindbar“. Die zunächst bis Donnerstag gesetzte Frist zur Zustimmung weichte er auf - und er versicherte den europäischen Partnern, dass Themen, die Europa und die Nato direkt beträfen, separat behandelt werden sollten. Allein das lobte Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Montag als einen „entscheidenden Erfolg, den wir gestern erzielt haben“.
In Angola teilt der deutsche Bundeskanzler mit, der überarbeitete Plan werde nun abgestimmt zwischen Amerikanern, Ukrainern und Europäern. „Und dann muss Russland an den Tisch“, fordert Merz. Aber es bestehen Zweifel, dass Putin zu direkten Gesprächen bereit ist, wenn ihm solche Punkte wieder aus dem Ursprungspapier herausgestrichen werden.
Es müsse „massiver Druck“ auf Russland ausgeübt werden, fordert Merz mit Nachdruck: „Die entscheidende Bewegung muss jetzt von Russland kommen und solange diese Bewegung nicht erkennbar wird, gibt es keinen Prozess und wenn es keinen Prozess gibt, gibt es keinen Frieden.“ Er sei weiter skeptisch. „Ich rechne nicht damit, dass es in dieser Woche zu einem Durchbruch kommt.“
Merz wiederholt noch einmal die Forderung nach einem Waffenstillstand in der Ukraine - und lenkt dann, damit Afrika bei diesem Gipfel nicht ganz hintenrunterfällt, den Blick auf die Beziehungen zu dem Kontinent. Auf dessen Probleme: die Gewalt im Sudan, die Terrorgefahren in der Sahelzone, Armut, Dürren, Hunger. Merz will sich für eine Stärkung des Verhältnisses einsetzen. Und er lässt wieder einsickern, dass sich die Welt gerade neu ordne. Ohne die USA. „Europa und Afrika setzen heute gemeinsam ein starkes Zeichen - und zwar für eine regelbasierte Ordnung.“ Es ist kein guter Zeitpunkt für Nord-Süd-Gespräche, so wie es im Osten Europas brennt.



