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"Sofort losgeheult"


Weltpokalsieger, Erfolgsmanager, Vaterfigur: Ein Nachruf auf Günter Schweitzer

Günter Schweitzer während seiner Zeit als Manager des GSVE Delitzsch.
Günter Schweitzer während seiner Zeit als Manager des GSVE Delitzsch.

Leipzig. Die beiden größten Erfolge des DDR-Volleyballs verpasste Günter Schweitzer. Beim WM-Gewinn 1970 war der Nordsachse nach einer längeren Verletzung nicht von Nationaltrainer Herbert Jenter nominiert worden. „Jenter hat sich für einen anderen Spieler entschieden, der bei der WM nicht eine Minute gespielt hat. Das war bitter“, erzählte Schweitzer mal gegenüber der LVZ. Den zweiten Platz bei den Olympischen Spielen in München 1972 verpasste der damalige Spieler des SC Leipzig dann wegen eines Bandscheibenvorfalls.

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Dennoch gehörte Günter Schweitzer, der vor einigen Tagen im Alter von 79 Jahren gestorben ist, zu den größten Volleyballern, die die DDR hervorgebracht hat. Beim dritten bedeutenden Erfolg, dem Gewinn des Weltpokals 1969, spielte der spätere Manager des GSVE Delitzsch eine tragende Rolle. Nach vier vierten Plätzen bei wichtigen Turnieren in Folge bedeutete der Weltpokalsieg im eigenen Land den Beginn der erfolgreichsten Zeit für den Volleyball im selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat.

Titelgewinn unter den Augen von Walter Ulbricht

„Wir waren noch nicht durch, wir brauchten einen Satz“, erinnerte sich Schweitzer, den die meisten in Anlehnung an den berühmten „Urwalddoktor“ nur „Albert“ nannten, an das entscheidende Match gegen die bärenstarken Japaner. Unter den Augen von Machthaber Walter Ulbricht gelang beim 1:3 in Ost-Berlin tatsächlich der angestrebte Satzgewinn und der Jubel war grenzenlos unter den Ostdeutschen, von denen die Mehrheit beim SCL aktiv war – darunter weitere Spieler aus dem Raum Torgau wie Eckehardt Pietzsch oder Arno Schulz. „Wir kannten uns schon aus Kindertagen, weil mein Cousin und meine Cousine mit ‚Albert‘ zusammen in der EOS in Torgau in die Schule gingen“, entsinnt sich der sechs Jahre ältere Pietzsch. Später entwickelte sich daraus eine lebenslange Freundschaft, auch zwischen den Familien.

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Für Günter Schweitzer war dabei der Weg kein leichter, da er im Alter von fünf Jahren seine Eltern verloren hatte und in einem Kinderheim in Kathewitz bei Arzberg aufwuchs. 1964 wurde das Waisenkind zur Juniorenauswahl nach Leipzig beordert, wo das große Talent schnell auffiel. Nach seiner Ära als Aufbauspieler beim SCL, inklusive diverser DDR-Meisterschaften und Erfolgen mit der DDR-Nationalmannschaft, hörte Schweitzer 1972 aus gesundheitlichen Gründen mit dem Volleyball auf – und auch weil er nun als junger Familienvater mit zwei Kindern weniger Zeit für den Sport hatte.

Dank Schweitzer und Co. gelingt Delitzsch der Bundesliga-Aufstieg

Danach arbeitete Schweitzer unter anderem bei der Leipziger Stadtverwaltung und versuchte in den 1980er-Jahren, eine Wohnungszentrale aufzubauen, um der damals grassierenden Wohnungsnot in der Messestadt etwas entgegen zu setzen. Nach der Wiedervereinigung begann das zweite volleyballerische Leben von „Albert“ als Manager beim SC Leipzig.

Dort konnte er den Niedergang des einst erfolgreichsten Volleyball-Vereins der DDR allerdings nicht verhindern und wechselte Anfang der 2000er zum aufstrebenden Regionalligisten GSVE. An der Seite der ehemaligen SCLer André Quasdorf und Frank Pietzonka feierte Günter Schweitzer am Lober noch einmal große Erfolge, die im Bundesliga-Aufstieg 2006 ihren Höhepunkt fanden. 2019 wurde er dann in allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet.

„Als ich gehört habe, dass ‚Albert‘ gestorben ist, habe ich sofort losgeheult und konnte erst einmal mit keinem reden.“

Frank Pietzonka, Freund und Wegbegleiter

„Als ich gehört habe, dass ‚Albert‘ gestorben ist, habe ich sofort losgeheult und konnte erst einmal mit keinem reden“, erzählt Pietzonka. „Denn ich habe mit ihm mein halbes Leben verbracht.“ Bereits 1976 holte Schweitzer den blutjungen „Spitz“ zum SCL und formte ihn zum Spitzenvolleyballer und Nationalspieler. Später wurden sie als Manager und Trainer bei den Gymnasialen ein eingespieltes Duo, das auch privat zusammen viel unternahm. „Er war für mich ein Freund, ein Kumpel, eine Vaterfigur – alles in einem“, betont Pietzonka.

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Klar habe es auch mal Reibereien gegeben, aber hinterher habe man trotzdem die Meinung des anderen akzeptiert und sich wieder in die Augen geschaut, erklärt der 62-Jährige: „Man konnte mit jedem Problem zu ihm kommen, er hat immer ein offenes Ohr für einen gehabt und mit seinen Ansichten nicht hinter den Berg gehalten.“ Auch wenn er wusste, dass es um seinen Freund nicht gut stand, so sei sein Tod doch schmerzlich überraschend für ihn gekommen, erzählt Pietzonka.

Die große Offenheit von Günter Schweitzer unterstreichen auch weitere Weggefährten, etwa Lutz Mühlisch, der unter Schweitzer Mitte der 90er-Jahre beim SCL spielte. „Er war nicht so ein typischer Schlipsmanager, sondern sehr gesellig und hat auf langen Auswärtsfahrten schon mal zur Gitarre gegriffen und ein paar Lieder gespielt“, erinnert sich der frühere Mittelblocker. Und sein Auftreten sei beeindruckend gewesen, allein schon wegen Schweitzers Körpergröße und tiefer Stimme: „Er konnte direkt einen Raum füllen, wenn er eingetreten ist.“

Eckehardt Pietzsch erinnert sich wie folgt: „'Albert‘ war immer ein guter Unterhalter, immer fröhlich und hatte ein großes Wissen.“ Regelmäßig treffen sich die Weltpokalsieger von 1969 zum Stammtisch im Bayrischen Bahnhof, was bis vor Kurzem Günter Schweitzer organisierte. „Leider werden wir da auch immer weniger“, bedauert Eckehardt Pietzsch. Auch wenn der Tod nach der langen Krankheit Schweitzers auch für Pietzsch nicht überraschend kam, so trauert er doch sehr um seinen guten Freund: „Er wollte doch noch so gern seinen 80. Geburtstag erreichen.“