Mallorca unter Strom: „Kollektive Hysterie“ wegen zweiten Unterseekabels zur Insel

Madrid. Alcúdia, die Kleinstadt im Nordosten Mallorcas, sei von einer „gerechtfertigten kollektiven Hysterie“ ergriffen, sagt Sebastià Pujol. Er ist Sprecher der Bürgerinitiative „Vom Kabel betroffene Nachbarn Alcúdias“. Welches Kabel gemeint ist, weiß jeder auf Mallorca: jenes Unterseekabel, das Strom vom spanischen Festland auf die Insel bringen soll. Eines gibt es schon, es kommt bei Santa Ponça im Südwesten Mallorcas an Land und liefert seit 2011 Festlandstrom.
Doch dieses zweite Kabel auf der anderen Inselseite ist vielen zu viel: Nach den jetzigen Plänen soll es „nur vier Meter vor unseren Schlafzimmern“ durch mehrere Viertel Alcúdias verlaufen, sagt Pujol. Die Anwohner fürchten sich vor den elektromagnetischen Feldern des Kabels. Und außerdem richte es in der Bucht von Pollença vermeidbaren Schaden am dort wachsenden Neptungras an. Deswegen haben sich auch Naturschützer auf die Seite der Bürgerinitiative geschlagen.

Zweites Kabel soll Energiewende auf die Balearen bringen
Das zweite Kabel ist Teil eines milliardenschweren Investitionsprogramms der spanischen Regierung, um die Energiewende auf die Balearen zu bringen. Bis vor Kurzem bezogen die Mallorquiner einen großen Teil ihres Stroms aus einem Kohlekraftwerk, Es Murterar, nicht weit weg von Alcúdia. 2011 kam nahezu die Hälfte der Elektrizität Mallorcas und der anderen Baleareninseln aus der Kohleverbrennung, 2019 immer noch ein knappes Drittel. Heute fast gar keiner mehr.
Zwei Gaskraftwerke in Palma tragen jetzt die Hauptlast der Stromproduktion, was ein großer Fortschritt ist. Der durchschnittliche CO₂-Ausstoß für jede produzierte Kilowattstunde sei in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent gesunken, berichtet die Regionalregierung. Allerdings wird auch das Erdgas, das seit 2009 per Pipeline vom spanischen Festland kommt, verbrannt und ist also kein klimaneutraler Energieträger.

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Ausbau der erneuerbaren Energien auf Mallorca langsam
Der Ausbau der erneuerbaren Energien aber geht auf den Balearen nur langsam voran. Die Inseln sind mit 247 Einwohnerinnen und Einwohnern pro Quadratkilometer vergleichsweise dicht besiedelt, während es im spanischen Durchschnitt 93 Menschen pro Quadratkilometer sind: Auf dem Festland ist also mehr Platz für Wind- und Solaranlagen. So lässt sich erklären, dass auf den Balearen im vergangenen Jahr nur 6,6 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kam, fast ausschließlich aus Sonnenkraftwerken.
Auf Mallorca, der Insel der Windmühlen, gibt es so gut wie keine Windgeneratoren. Auf dem spanischen Festland dagegen erreichten die Erneuerbaren (einschließlich Wind- und Wasserkraft) letztes Jahr einen Anteil von 43,4 Prozent. Festlandstrom ist also grüner als Inselstrom. Was eines der Argumente für die Unterseekabel ist.
Außerdem machen die Kabel die Stromversorgung sicherer. Das merkten die Mallorquiner (oder merkten es eben nicht) gut ein Jahr nach der Inbetriebnahme des ersten Kabels: Ein Unwetter im November 2012 ließ die heimische Elektrizitätsproduktion zusammenbrechen. Nur aus dem Festlandkabel floss weiter friedlich der Strom.
Pujol: Aktueller Plan ist „idiotisch“
Die Angst vor dem zweiten Kabel kann Joan Groizard, Generaldirektor des staatlichen Instituts für Energiediversifikation und Energieeinsparung, nicht nachvollziehen. In einem Gespräch mit der Mallorquiner Zeitung „Última Hora“ sagt er: „Kabel dieser Art sind unter jeder Stadt der Welt.“ Ja, sagt Sebastià Pujol hörbar erregt, „aber nicht mit dieser Potenz!“. Die „Vom Kabel betroffenen Nachbarn Alcúdias“ sind nicht gegen das Unterseekabel, aber gegen den geplanten Anschluss über die Bucht von Pollença, die Pujol als „unberührt“ beschreibt.
Etwas weiter südlich liegt die Bucht von Alcúdia, an die der Mensch in der Vergangenheit schon deutlich spürbarer Hand angelegt hat und die außerdem einen direkteren Zugang zur Umspannstation Puig de Sant Martí erlaubte. Das wäre eine gute Alternative zu dem „idiotischen“ Plan, das Kabel über die Bucht von Pollença zu führen, findet Pujol. Den Kampf hat er noch lange nicht aufgegeben. Bis 2026 soll das zweite Kabel verlegt sein und in Betrieb gehen. Das gibt noch etliche Monate Zeit bis zum Abschluss des Planverfahrens. Genug Zeit, um der kollektiven Hysterie die Gründe zu entziehen.




