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„And Here I Am“


Ein Jahr nach der Ausladung: Palästinensisches Theaterstück feiert in Leipzig Deutschland-Premiere

Ahmed Tobasi zeigt sein Theater-Solo "And Here I Am" als Deutschland-Premiere in der Alten Handelsbörse in Leipzig
Ahmed Tobasi zeigt sein Theater-Solo "And Here I Am" als Deutschland-Premiere in der Alten Handelsbörse in Leipzig

Leipzig. Rund 80 Minuten höchste Präsenz. So lange rennt, tanzt, rollt Ahmed Tobasi über die Bühne. So lange spricht, schreit, flüstert er in der Alten Handelsbörse in Leipzig und erzählt sein Leben. Ein Leben zwischen einer Kindheit und Jugend im palästinensischen Flüchtlingscamp, zwischen Gewalt, israelischer Haft und Theater als Rettung. Am Sonntagabend feierte das Stück „And Here I Am“ doch noch Deutschland-Premiere. Ein gutes Jahr nach der Ausladung von der euro-scene Leipzig 2024.

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Damals wurden Antisemitismus-Anschuldigungen gegenüber der Produktion laut. Entzündet unter anderem an der BDS-Unterstützung von Vertretern des im Flüchtlingslager Dschenin beheimateten Freedom Theatres, bei dem Tobasi aktiv war. Die Stadt Leipzig betrachtete die Aufführung als unvereinbar mit dem Stadtratsbeschluss „Gegen jeden Antisemitismus“ von 2019 und stellte in den Raum, Fördergelder wieder zu entziehen. Im Anschluss lud die euro-scene das Stück, das zuvor in anderen europäischen Ländern gastiert hatte, wieder aus.

Eingeladen von den „Artists for Cultural Freedom“

Dass Tobasi „And Here I Am“, geschrieben von Hassan Abdulrazzak, jetzt doch in Leipzig zeigen kann, ist den Artists for Cultural Freedom zu verdanken. Sie hatten sich im Zuge der Absage vor einem Jahr gegründet. Eine Gruppe, die sich als internationales Kollektiv versteht und – nicht ganz unwichtig in der aufgeheizten Debatte – Menschen mit muslimischem, jüdischem, christlichen Hintergrund versammelt. Sie haben Tobasi und der Regisseurin Zoe Lafferty eingeladen. Das Interesse ist groß, die Alte Handelsbörse ausverkauft.

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Ahmed Tobasi in "And Here I Am".
Ahmed Tobasi in "And Here I Am".

Ein paar Kanister stehen auf der Bühne. Aber im tristen Setting geht es zunächst um die erste Liebe. Noch stammen die Schläge, die zu hören sind, vom aufgeregten Herzen des Teenagers. Bald sind es Schüsse. Tobasi, er ist 17, folgt Freunden in den Kampf gegen das israelische Militär. Doch bevor er den ersten Schuss abfeuert, wird er verwundet, sieht er Freunde sterben und landet vier Jahre in Haft.

Beeindruckend wandelbar

Tobasi spielt das Solo beeindruckend wandelbar zwischen verliebtem Teenager, verzweifeltem Häftling und euphorischem Theaterschüler. Er wechselt in hohem Tempo zwischen den Rollen, verkörpert für Sekunden die eigene Mutter, einen Mithäftling oder einen israelischen Soldaten. Und meist gelingt es mit Humor, die Szenen zugänglich zu gestalten. Etwa wenn der junge Kämpfer in der Aufregung das Feuerzeug aus dem Fenster wirft, statt der selbstgebauten Bombe.

Es ist das Freedom Theatre, das ihm nach der Haft eine Zukunft zeigt. Leiter Juliano Mer-Khamis überzeugt den jungen Tobasi davon, dass es eine Waffe gibt, die nicht tötet, aber viel wirksamer ist: das Theaterspiel. Weil es Menschen zum Denken bringen kann.

Auf schmalem Grat

Genau das leistet „And Here I Am“. Es zeigt anschaulich, wie schmal der Grat ist, auf dem junge Männer wie Tobasi in einem von Gewalt geprägten Umfeld balancieren. Trotz subjektiver Erzählperspektive öffnet sich der Blick auf universelle Machtgefälle. „Ich kämpfe nicht um Palästina“, sagt Tobasi nach der Vorstellung. „Ich kämpfe für Humanität.“

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Neben der Aufführung haben die Artists for Cultural Freedom in den vergangenen Tagen Workshops mit Tobasi und der „And Here I Am“-Regisseurin Zoe Lafferty organisiert. Und am Samstag eine Lesung von Texten, arrangiert von Lafferty, die auf Interviews mit palästinensischen Künstlern basiert. Darin entsteht ein dichtes Stimmengeflecht, das von Menschen erzählt, die sich permanenter Willkür ausgesetzt sehen, etwa an den israelischen Checkpoints, die Familienmitglieder und Freunde verloren haben oder inhaftiert waren, oft über Monate ohne Anklage.

Da schließt sich der Kreis. Tobasis Biografie fügt sich ein in diese Erzählungen. Zur Ausnahme macht ihn, dass er es geschafft hat, die engen Grenzen von Dschenin zu verlassen und zu einer Theaterschule in Oslo zu gelangen. Immer noch schaue er zurück und frage sich: „Ist das wirklich mein Leben? Und bin ich immer noch normal?“ Nach der Lesung sagt Tobasi, was auch sein Stück ausdrückt: „Theater hat mich gerettet.“ Heute reist er mit norwegischem Pass und kann mit den Mitteln der Kunst von einem für Europäer kaum vorstellbaren Alltag erzählen. Jetzt auch in Leipzig.