Wie eine Tierphysiotherapeutin gelähmte Hunde zum Laufen bringt
Netphen. Leos Fell ist klitschnass. Er steht hüfthoch im Wasser in einem großen Becken. Die Tierphysiotherapeutin Julia Groß, die die Praxis Neidhart im nordrhein-westfälischen Netphen betreibt, hält ihm eine Tube mit Leberwurst entgegen. Leo streckt seine Schnauze vor und schleckt an der Tube. Das Wasser macht ihm nichts aus, im Gegenteil: Indem er in dem Wasser auf einem Laufband läuft, werde seine Muskulatur gestärkt, sagt Groß.
Als er zwei Jahre alt war, hatte Dackel Leo einen Bandscheibenvorfall. Seine Besitzerin, Simone Lau, stand vor der Wahl: Einschläfern oder operieren lassen? Da Leo noch jung war, kam er unters Messer.
Doch nach der Operation waren seine Hinterbeine gelähmt. Der Tierarzt empfahl Lau die Tiertherapie bei Groß. „Wenn Menschen einen Bandscheibenvorfall haben, müssen sie ja auch eine Reha machen“, sagt Groß. „Das ist bei Tieren nichts anderes.“
Früher Krankenschwester, heute Physiotherapeutin für Tiere
Das ist ein Spruch, den sie häufig sagt. Groß ist in ihrem früheren Berufsleben Krankenschwester gewesen. Doch sie liebt Tiere, hat selbst „einen kleinen Zoo“, wie sie sagt. Sie machte eine Ausbildung zur Tierphysiotherapeutin und eröffnete ihre Praxis. Erst nebenher, dann entschied sie sich dazu, ganz auf die Tierphysiotherapie zu setzen.
Es lohne sich. Jahr für Jahr hat sie mehr tierische Patienten. Sie hat sogar eine weitere Therapeutin eingestellt. „Es gibt immer mehr Singles, und die Tiere sind dann Partnerersatz oder manchmal auch Kinderersatz“, sagt sie.
„Auch in den Familien sind die Haustiere vollwertige Familienmitglieder. Deswegen sind sie auch bereit, 30 Euro pro Stunde für die Therapie zu bezahlen.“
„Handtasche“ hilft Hund Leo beim Laufen
Wie zum Beispiel Simone Lau. Sie dachte, dass Leo nicht laufen könne und Schmerzen haben werde. Sie kam deshalb zweimal pro Woche zu Groß. „Frau Groß hat Leo ein Korsett gegeben mit einem Tragegriff. Wie eine Handtasche. Damit haben wir ihm dann beim Laufen geholfen. Für Leo war das schon anstrengend.“
Doch der Dackel machte schnell Fortschritte, brauchte nach einigen Wochen keine Schmerzmittel mehr und konnte laut Lau bald schon wieder zehn bis elf Kilometer laufen. Vier Jahre später kommt er nur noch gelegentlich zu Groß in die Praxis.
Wenn Menschen einen Bandscheibenvorfall haben, müssen sie ja auch eine Reha machen.
Julia Groß,
Tiertherapeutin
Viele Hunde würden sich freuen, wenn sie zu ihr kämen, sagt Groß. Sie seien fröhlich, wenn sie aus dem Auto steigen, und wedelten mit dem Schwanz. Für sie ist es ein Traumberuf.
Stefan Hütten ist heute mit seinem zweijährigen Jagdhund Xio zu Groß gekommen: „Wir machen das prophylaktisch.“ Xio powere sich auf der Jagd regelmäßig aus und manchmal verrenke er sich oder eine Rippe rage hervor. „Lieber hin und wieder 30 Euro bezahlen als irgendwann eine Operation für Tausende Euro“, sagt Hütten.
Ura konnte nur noch auf drei Füßen gehen
Denn diese Erfahrung hat er schon gemacht. Hütten hat noch einen anderen Jagdhund: Ura. Sie hatte einen Hüftbruch und musste operiert werden. So kam Hütten zu Groß. „Am Anfang ist sie nur auf drei Pfoten gegangen“, erklärt Hütten.
Ura habe sich in ihre Schonhaltung zurückgezogen. Groß sollte sie ihr abtrainieren. Zum Beispiel mit Massage. Oder mit einem Laser, der aussieht wie ein weißes Telefon mit rotem Licht. Er soll entzündungshemmend und schmerzlindernd wirken.
Oder mittels kleiner Hindernisse, über die Groß die Hunde mit Leberwurstpaste lockt. Ura sollte lernen, die Füße richtig anzuheben. Oder mit Aufsätzen, auf denen die Hunde stehen und die mit den Noppen wie ein „Barfußgang“ wirken sollen. Ura konnte bald auf allen Vieren laufen. Nur für die Jagd sei sie zu alt.
Groß behandelt auch Katzen, Ziegen – und sogar Hamster
Groß behandelt nicht nur Hunde. Ihre Patienten sind Pferde, Katzen, Ziegen, Schafe, einmal sogar ein Hamster. „Der Hamster ist in seinem Hamsterhäuschen mit seinem Beinchen hängengeblieben. Aber der Tierarzt meinte, es sei nur ein Nerv eingeklemmt. Dann habe ich sein Beinchen so lange massiert, bis er wieder laufen konnte“, erzählt Groß.
Katzen seien hingegen „Freigeister“. Ein Wasserbad: keine Chance! Groß benutzt manchmal eine Spielzeugmaus mit Minzfüllung, um sie zu Übungen zu überreden.
Aber das sei deutlich schwieriger als bei Hunden, die auf Kommandos hören und bestechlicher sind. Manchmal bewegt sie nur die Katzenbox vorsichtig von links nach rechts, damit die Katzen ihre Balance üben können.
Tränen der Freude und der Trauer
Für Groß ist es eine große Sache, wenn sie einem Tier helfen konnte. „Einmal kam ein Hund hierher, der per Magensonde ernährt wurde und einen Katheter hatte, also nicht mehr allein urinieren konnte. Da ging nichts mehr. Ich habe den nach vier Monaten wieder auf die Füße gekriegt. Das macht dann richtig Spaß.“
Es liefen in ihrer Praxis oft Freudentränen, aber auch Tränen der Trauer. Denn das Leben ist nun mal auch für Tiere endlich.



