Verpflichtende Sprachtests bei Schulkindern: „Sonst geht die Schere immer weiter auf“

Markus Söder (CSU) hat angekündigt, dass seine Regierung verpflichtende Sprachstandserhebungen einführen will. Alle Vierjährigen müssten dann ihr Sprachniveau nachweisen. Söder will dazu eine Kommission einrichten. Heinz-Peter Meidinger, Ehrenpräsident des Deutschen Lehrerverbandes und früherer Schulleiter am niederbayerischen Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, begrüßt Söders Vorstoß.
Herr Meidinger, warum unterstützen Sie Markus Söders Ankündigung, in Bayern eine verpflichtende Sprachstandserhebung einzuführen?
Aus den letzten Vergleichsstudien wie der IQB-Studie und der Iglu-Studie wissen wir, dass wir insbesondere an den Grundschulen seit 2016 einen großen Leistungseinbruch haben, besonders ausgeprägt bei Kindern mit Zuwanderungshintergrund in der ersten Generation. Aber auch immer mehr Kinder ohne Migrationsgeschichte sind betroffen. Wenn Kinder bereits bei der Einschulung dem Unterricht nicht folgen können, werden sie von Anfang an abgehängt. In der Schule kann man das nachträglich kaum mehr ausgleichen.

Bayerns Kultusminister Michael Piazolo sagte dem BR zu dem Sprachtest: „Das machen wir schon.“
Na ja, es gibt das Angebot von Sprachstandserhebungen. Aber wenn die Eltern das Angebot nicht wahrnehmen, kräht da kein Hahn danach. Kinder, die Frühförderung am nötigsten brauchen, werden oft nicht getestet, weil die Eltern nicht hinterher sind oder fürchten, dass ihr Kind von vornherein stigmatisiert wird und danach doch keine effektive Förderung stattfindet. Es geht darum, ein überzeugendes Konzept zu erarbeiten, das auch die Chancen klarmacht.
Dennoch sollen die Eltern auch dazu gezwungen werden, die Kinder an der Sprachstandserhebung teilnehmen zu lassen?
Einsicht ist mir zwar immer lieber als Zwang, aber ohne mehr Verbindlichkeit wird das Konzept nicht funktionieren. Schauen wir uns Hamburg an, das sich als einziges Bundesland bei der letzten IQB-Studie leistungsmäßig nicht verschlechtert hat. Gerade Stadtstaaten haben es schwer, weil dort viele Schüler aus sozial benachteiligten Familien und mit einem Zuwanderungshintergrund leben. Aber Hamburg hat schon vor über zehn Jahren verbindliche Sprachstandserhebungen eingeführt, die sogar bußgeldbewehrt sind.
Wir müssen in Bayern auch mehr Nachdruck entwickeln. In vielen Bundesländern ist man vielleicht bislang ganz froh, dass nicht alle Kinder bei der Sprachstandserhebung und der folgenden Sprachförderung teilnehmen, weil man dadurch Ressourcen gespart hat. Und es ist auch klar: Dafür braucht man zusätzliches Personal und intensive Weiterqualifizierungsmaßnahmen für Kita-Erzieherinnen und Lehrkräfte. Allein in Hamburg gibt es 700 Stellen für sprachliche Frühfördermaßnahmen.

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Das ist der Hauptkritikpunkt an Söders Plänen: Sprachstandserhebungen helfen nicht viel, wenn danach keine effektive Frühförderung einsetzt. Wie sehen Sie das?
Söder hat die Einführung der Sprachstandserhebung für das Schuljahr 2024/2025 angekündigt. Das muss machbar sein. Mittlerweile gibt es auch Apps, die das Sprachniveau der Schüler spielerisch diagnostizieren und einen geringen Personalaufwand erfordern. Die anschließende verbindliche Sprachfrühförderung in einem Vorschuljahr ist dann die eigentliche Herausforderung, das geht nicht von heute auf morgen. Die verbindliche Frühförderung ist der Schlüssel für mehr Chancengerechtigkeit. Sonst geht die Schere immer weiter auf: Die einen vergrößern ihren Vorsprung, und die anderen Kinder können das nie aufholen und haben damit schlechte Zukunftschancen.





